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Juden in Altenstädt

Geschichtliche Ereignisse in Altenstädt

Juden in Altenstädt
zusammengestellt von Bernd Ritter (Ende 2005)

Vorab: In der Zeit der Naziherrschaft 1933 - 1945 wohnten in Altenstädt keine Juden mehr. Seit 1883 ist hier keine jüdische Bevölkerung mehr ansässig.
Dennoch hatten auch die Altenstädter danach und bis zum II. Weltkrieg regen Kontakt zu Juden aus den benachbarten Orten und insbesondere aus Naumburg, insbesondere auf geschäftlicher Basis (dazu mehr weiter unten). Schließlich durften die Juden ja im Mittelalter keinen Ackerbau oder ein Handwerk betreiben, so dass ihnen nur Geldgeschäfte und später noch der Handel (anfangs auch verboten) übrig blieben.
Die Vertreibung und Verfolgung der jüdischen Mitmenschen in Deutschland konnte also auch den Dorfbewohnern hier nicht unbemerkt bleiben. Dennoch blieben persönliche Schicksalsschläge den Altenstädter - soweit bekannt - erspart.

Statistik *)
1728 wohnten in Altenstädt 5 Juden
1861 wohnten in Altenstädt 14 Juden männlichen Geschlechts und 9 Juden weiblichem Geschlechts.
         Das waren 3,2% der Bevölkerung - verhältnismäßig viel im Vergleich zu den Nachbargemeinden
seit 1883: keine jüdische Bevölkerung mehr in Altenstädt
(siehe auch “Statistik”)

Jüdischer Handel um 1890 in Altenstädt *)
“Auch die Juden waren häufig Gäste in unserem Dorfe [Altenstädt]. Sie kamen aus dem Städtchen Naumburg, aus Wolfhagen oder Niedenstein im Kreise Fritzlar. Der Geringste unter ihnen war der Lumpensammler Nathan aus Naumburg. Sein Hakenstock hatte eine geschnitzte Pfeife im Griff, und wenn diese ertönte, suchten die Hausfrauen einige Lumpen zusammen und tauschten dafür Zwirn, ein paar Hemdknöpfchen oder einige Nähnadeln ein. Höher als Nathan rangierte “Schaffen”, der Felljunge. Diesen Namen konnte ich mir nie erklären und seinen richtigen Namen erfuhr ich nicht. Er trug stets einen hellblauen Kittel mit weiß gestickten Schulterstücken, die Tracht des Waldecker Landes.
Besser als diese verstand das Reichwerden der Viehhändler Kander. Er war ein ausgemachter Schauspieler, und solcher Viehhandel im Dorf war ein kleines Theaterstück. Laut ertönte das Geschrei der beiden Parteien über die Straße, denn der Bauer musste seine Stimme arg anstrenge, um dem Sezeter des Juden, der Himmel und Hölle beschwor, das Geforderte nicht geben zu können, standzuhalten. Mehrmals verließ er den Schauplatz, um aber regelmäßig zurückzukehren und dann aus lauter Freundschaft für den Bauern den Handel abzuschließen. Immer wieder klatschte er in die Hände, bevor er dem Bauern die haarige Pranke reichte, und schließlich schlug der Bauer ein, so dass alle Zuschauer aufatmen konnten. Mein Vater verkaufte Kander eine Kuh für 52 Taler. Schon am folgenden Tage verkaufte es sie einem Mann im Oberdorf für 58 Taler. Sie hat auf dem hohen Verkaufsstand Kanders in Naumburg viel stattlicher ausgesehen als in unserem niedrigen Stall, erzählte mein Vater nach der Rückkehr. Die 18 Goldmark, was damals viel Geld war, wurden von Kander schnell verdient. (...)
Moses Kaiser und seine beiden Vettern Levi und Abraham Kaiser kamen oft in unser Haus, denn der Handel mit Kleiderstoffen war ganz in jüdischer Hand. Auch der Grundstückshandel wurde ganz und gar über die Juden abgewickelt, und wer da nicht genau mit der Bodenbeschaffenheit Bescheid wusste, der konnte arg übers Ohr gehauen werden. Naumburg stellte sich damals mehr und mehr vom Ackerbauerstädtchen auf eine kleine Handels- und Gewerbemetropole um und so verkaufte man dort einen Acker nach dem anderen. Mein Vater passte höllisch auf bei solchem Handel, so dass man ihn kaum übers Ohr hauen konnte, aber manchmal zog er doch den kürzeren und dann sagte er: ‘Ein Jude ist doch ein schofeles Geschöpf! Sie haben großen Gewinn bei dem Landhandel.”

*) Aus den Aufzeichnungen des Lehrers August Henkelmann (1878-1957) aus Altenstädt, maschinenschriftliches Manuskript, S. 190 ff., mitgeteilt von Georg Feige.

Jüdische Schule in Naumburg - Schulgeld in Altenstädt? *)

Der Einzugsbereich der jüdischen Elementarschule
Gemäß §1 der Kurhessischen Verordnung vom 30. Dezember 1823 bildeten die Juden als Ausdruck ihrer kultusmäßigen Selbstverwaltung Synagogengemeinden. Die Naumburger Synagogengemeinde war politischer und geistiger Mittelpunkt für die in Naumburg, Elben, Altenstädt und zeitweise in Martinhagen lebenden Juden. Da alle jüdischen Schulkinder ihr Schulgeld somit nach Naumburg entrichteten, bedeutete dies für die Lehrer der Elementarschulen in Elben und Altenstädt, dass sie von den jüdischen Schulkinder kein Schulgeld erhielten. Lehrer Wiegand von der Schule aus Altenstädt wird deshalb in 1830 beim Kreisamt mit der Forderung vorstellig, die jüdischen Kinder aus Altenstädt sollten bei ihm zur Schule gehen oder wenigsten das Schulgeld an ihn entrichten:

 “Die in hiesiger Gemeinde wohnenden Israeliten wiedersetzen sich aber hierin, und wollen weder ihre Kinder in die hiesige Schule schicken, noch mir das gebührende Schulgeld entrichten. Ich sehe mich deshalb genötigt, bei Kurfürstlichem Kreisamt die untertänige Bitte zu tun: ob ich in dieser Hinsicht nicht auch wie alle anderen Schullehrer von den hier wohnenden Israeliten Schulgeld mit Recht vor deren schulpflichtigen Kindern verlangen kann.”
Wiegand, Schullehrer
Altenstädt, 12.12.1830


Auch wenn die Akten den weiteren Verlauf dieser Auseinandersetzung nicht mehr dokumentieren, scheint er doch zugunsten des Naumburger Lehrers Bien von der dortigen jüdischen Schule ausgegangen zu sein, denn die betreffenden Schüler aus Altenstädt gehen auch weiterhin nach Naumburg zur Schule. So besuchen 1841 u.a. die Tochter des Isaac Levi und 1843 der Sohn Markus des Lumpensammlers David Friedenberg aus Altenstädt täglich den Unterricht in Naumburg.
Im November 1860 bitten Levi Hecht, Feist Kugelmann und Isaak Höh aus Altenstädt das Kreisamt in Wolfhagen, dass ihre Kinder im Winter nicht nach Naumburg laufen müssen, sondern die Ortsschule in Altenstädt besuchen dürfen. Der Landrat gibt am 22. November 1860 dieser Bitte unter dem Ausschluss des christlichen Religionsunterrichts statt. Der Israelitische Religionsunterricht findet darauf hin im Winter zweimal wöchentlich statt. Nachweislich bis zum Winter 1865/66 hat der Lehrer Gutkind aus Naumburg den jüdischen Kindern in Altenstädt in den Monaten Dezember bis März den Religionsunterricht am Heimatort erteilt.
Nachdem seit 1883 in Altenstädt und seit 1884 in Elben keine jüdische Bevölkerung mehr ansässig war, gingen nur noch jüdische Schüler aus Naumburg in die dortige Schule. In 1889/90 hatte sie schließlich nur noch vier schulpflichtige Kinder, so dass sie nicht mehr lebensfähig war und mit Wirkung zum 1. April 1891 aufgehoben wurde. Jüdische Schüler gingen ab diesem Zeitpunkt in die katholische Schule.

Juden in Altenstädt in den 30er Jahren
aus den Erinnerungen von Fritz Ritter (Jg.1929)

Wie bereits erwähnt wohnten seit 1883 keine Juden mehr in Altenstädt. Dennoch gab es weiterhin regen Kontakt zu jüdischen Mitbürgern. Insbesondere Handelsreisende, die mit dem Fahrrad von Haus zu Haus zogen, brachten den Altenstädtern Stoffe, Kleidung oder so genannte Kurzwaren. Ein oft gesehener Gast war Siegmund Kaiser-Blüth, ein Kaufmann aus Naumburg. Ansonsten kamen jüdische Handelsleute z.B. aus Hoof oder aus Niedenstein (Viehhändler) nach Altenstädt, um dort Geschäfte abzuwickeln.
In Naumburg betrieb ein Jude (Name nicht mehr bekannt) auch einen Geldverleih. Fritz Ritter erinnert sich, dass sein Vater Martin dort Geld für einen Grundstückskauf geliehen hatte. Auf dem Rückweg von seiner Arbeit aus dem Waldeck’schen lieferte er wöchentlich die Raten ab. Fritz erinnert sich daran, dass der Geldverleiher großzügige Zahlungsziele gewährte.
Von schweren Übergriffen während der NS-Zeit in Altenstädt ist wenig bekannt. Doch erinnert sich Fritz Ritter, dass einem jüdischen Händler aus Niedenstein dem Fahrradreifen die Luft rausgelassen oder er gar zerschnitten worden sei! Auch haben Kinder Juden mit Steinen beworfen! Das hatte sicherlich den Grund auch darin, dass der damalige Lehrer Karl Eysel ein verblendeter Nazi war und den Kindern so genannte “Rassenlehre” und judenfeindliche Propaganda “einimpfte”. Eysel verließ noch kurz vor Ende des Krieges Altenstädt.
An der Eingangstür des Gasthauses “Schlutz” war ein Metallschild angebracht, auf dem stand: “Juden sind unerwünscht”.
Also ging auch an Altenstädt der dunkelste Zeitabschnitt in der deutschen Geschichte nicht ganz ohne Beteiligung vorüber!

Einige jüdische Namen aus Altenstädt *)
aus: Einwohnerverzeichnis der Synagogengemeinde Naumburg

Friedenberg
David F., Handelsmann zu Ast.,  gest. 1836, verh. mit Rechel Levi
Kind:
David F. 1802-1862, Lumpensammler, Händler 1837), Viehhändler (1840/41), verh. mit Mamel Rothschild.
Kinder:
1. Marcus: 1837-1863
2. Rechel: 1837-1837
3. Rechel: 1840-1841

Aus dem Wochenblatt für die Provinz Niederhessen 1854, S. 150:
Wolfhagen: Der Schuhmacherlehrling Markus Friedenberg aus Altenstädt hat sich am 20. b.M. heimlich von seinem Lehrmeister zu Naumburg entfernt und treibt sich wahrscheinlich wieder bettelnd umher. Alle Polizeibehörden werden deshalb ersucht, den pp. Friedenberg im Betreuungsfall verhaften und anher abliefern zu lassen.
Wolfhagen am 3. Juni 1854. Kurfürstl. Landratsamt. Bickell

Gotthelf
Sara G., Händlerin aus Ast.: 1795-1853
Kind:
Feist Kugelmann, geb. 1817, gest. in Amerika vor 1890

Hecht
Anschel (?) H., geb. 1795, gest. vor 1858, verh. mit Sara Gotthelf, treibt Handel in Ast.;
Kind:
Levi, 1821-1863, Schuhflicker, 1862 Schuhmachermeister, verh. mit Betti Hirsch; 1874 nach Amerika ausgewandert
Kinder:
1. Hirsch, geb. 1849, 1865 nach Amerika ausgewandert
2. Julie, geb. 1851, 1868 nach Amerika ausgewandert
3. Samuel, geb. 1854, 1868 nach Amerika ausgewandert
4. Moses, gen. Moritz, geb. 1857, 1875 nach Amerika ausgewandert
5. Leah, geb. 1862
Feist, gen. Philipp H., Metzgermeister, verh. mit Berta Fried

Höh
Michael H., Handelsmann zu Ast.: 1795-1853, verh. mit Rechel Zadok; beide gest. vor 1837
Kind: Isaac, Handelsmann zu Ast., 1809-1865, 1837 verh. mit Täubchen Katz (1813-1853), vor 1863 mit Rike
Meier (1809-1865)
Kinder:
1. Leah, geb. 1838
2. Michael, 1841-1854
3. Tirzchen, geb. 1844
4. Simon, geb. 1846
Fratchen H., verh. mit Helle Hirsch aus Bergheim/Waldeck
Kind: Isaac, geb. 1836
Raeselchen, unverh., 1805-1858

Katzenberg
Moses K. (gen. Katz), Teilnehmer am Freiheitskrieg 1813, wohnt 1878 bei Lumpensammler Moses Kugelmann in Ast., Veteran. 1794 (Elmshagen) - 1878, verh. mit Sara Hecht aus Ast.
Kind:
Joseph, geb. 1829
Herz K., Weißbinder aus Elmshagen, wh. Ast.; verh. mit Brendel Levi

Kugelmann
Feist/Fritz K., 1817-vor 1890 in Amerika, Schuhmachermeister zu Ast., verh. mit Reichel Speyer
Feist K. wanderte in 1881 mit Ehefrau und einer Tochter nach Amerika aus.
Kinder:
1. Moses, Lumpensammler, 1845-1880
2. Levi, geb. 1847
3. Ahron, geb. 1850 (Lumpensammler in Nbg., zwischendurch in New York)
4. Pauline, geb. 1852, 1868 nach Amerika ausgewandert
5. Peschen/Betti, geb. 1855, 1874 nach Amerika ausgewandert
6. Sarchen, geb. 1860

Levi
Marcus L., Handelsmann zu Ast., geb. 1697 in Breitenbach, wird in 1760 wegen der vergangenen 40 Jahre vom Judenschutz befreit.
Moses L., wh. Ast., gen. 1796, 1801; Judenschutz seit 1.7.1748, seit 15.9.1789 davon befreit.
Jacob L., Händler zu Ast., gen. 1807; Judenschutz seit 1760, den er in 1798 auf seinen Schwiegersohn David Mentel überträgt.
Kinder:
1. Rechel Jacob, 1761 - 1836
2. ?, mit David Mentel verh.
Zodig L. gen. Ast. 1796, Judenschutz ab 1762
Gumbert L., gen. Ast. 1807
Zadok/Nathan L., Handelsmann zu Ast., geb. 1780, verh. mit Zerle Levi
Kinder:
1. Brendel (verh. 1836 mit Herz Katzenberg
2. Jacob, 1804-1870, Viehhändler (1834), Handelsmann (1861), verh. mit Elle Mansbach (1834), Gütchen Speier/Holstein (1860) und Gütchen Plaut (1863)
Kind mit Gütchen Speier/Hollstein
1. N.N., 1863 totgeboren
Kinder mit Gütchen Plaut:
1. Saly, geb. 1865
2. David, 1865-1866
3. Bertha, geb. 1866
4. Moses, geb. und gest. 1868
5. Goldine, geb. 1869
Zerline L. (später christlicher Name: Christine Gertrud), 1830 (Obervorschütz) - 1872, verh. mit N.N.
Kind:
1. Elise, geb. 1863, 1864 evang. getauft durch Pfarrer Saul in Balhorn
Isaac L., wh. Ast., verh. mit N.N.
Kind:
1. Jettchen, geht 1841 in Naumburg zur Schule
Benjamin L., unverheiratet, treibt einen kleinen Handel und hulet sich im Fstm. Waldeck auf, 1783-1848

Mentel
Aron M., Judenschutz ab 1798, geb. 1804, verh. mit N.N.

Samuel
Michael S., wh. Ast., gen. 1807
Siemon S., Händler 1831, verh. mit Perle Valkenberg, beerdigt 1860; die Witwe wurde angeblich 102 Jahre!)
Kind:
1. Mirjam

Schmuhl
Michael S., Judenschutz ab 1798, gen. 1804

*) Quelle: “... da war ich zu Hause” - Synagogengemeinde Naumburg 1503-1938;
    herausgegeben von Volker Knöppel und dem Magistrat der Stadt Naumburg (weitere Quellenangaben dort)
sowie mündliche Überlieferungen


LINK:
 - Wikipedia

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