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Der Zehntpfennig

Der Zehntpfennig als Abzugsgeld

von Georg Feige
Der Zehnte war die wiederkehrende Abgabe des 10. Teiles aller oder bestimmter auf dem Grundstück gewonnener Erträge an den Landesherrn, die Kirche, Klöster oder anderen Grundherren. Eine besondere Art des Zehnten war der Zehntpfennig. Verkaufte jemand seine Güter und wollte er das Kaufgeld, sein Vermögen, aus dem Lande führen, um sich in einem anderen „mit häuslicher Wohnung zu begeben“, so musste er „von allen Gütern und den angefallenen Erbschaften“ an den bisherigen Landesherrn den „Zehenden Pfennig“ entrichten. Wollte jemand anderwärts sein Glück machen, z.B. im schon „ausländischen“ Nachbarort, so wurden vor seinem Abzug erst einmal 10 Prozent seines Vermögens „verstaatlicht“, damit er es für seine Zukunft leichter habe. Wo ein anderer Fürst, Graf oder nur ein Gräflein deutsches Land regierte, war immer Ausland.
Dieser „Zehende Pfennig“ muss für den Mainzer Erzbischof Gerhard und den Landgrafen Heinrich von Hessen dorch sehr fragwürdig und problematisch gewesen sein, weil sie am 6.12.1294 (!) die Vereinbarung treffen, jeder Bürger dürfe und könne „ohne Beschwerung wie bisher“ frei aus dem Land des einen in das des anderen ziehen. Der entgegengesetzten Tendenz musste wohl Einhalt geboten werden.
Ob und wie lange dieser Vertrag des guten Willens eingehalten wurde, steht dahin. 300 Jahre später sehen sich wiederum der hessische Landgraf und der Mainzer Erzbischof veranlasst, „zur Erhaltung und Fortpflanzung guter nachbarlicher Beziehungen“ den freien Wechsel der Bürger von Land zu Land ohne Entrichtung irgendwelcher Abgaben vertraglich zu statuieren. Es hatte „eine Zeit anhero allerhandt Beschwerungen“ gegeben, wie „der Gebrauch eingerissen“, dass die Abwanderer „den Zehenden Pfennig hinderlaßenn müssten“. Die fürstlichen Diener und Beamten hatten anscheinend ihrem Übereifer und ihrer Willkür zu großen Spielraum gelassen.
Trotz des klaren und eindeutigen Abkommens wurde diesem immer wieder entgegengehandelt. Einerseits besteht die hessische Landesregierung auf strikter Einhaltung, andererseits muss sie ihre Beamten mit ihrem Schreiben vom 14.12.1741 befragen, wie von ihnen die Frage des Abzugsgeldes gehandhabt wird. Hierzu passt, dass seitens der Betroffenen Anträge auf Befreiung und Erlass des Zehntpfennigs gestellt werden müssen.
Johannes Grebe wohnte im chur-mainzischen Altenstädt; seine Frau Anna Catharina Hensel kam aus dem hessischen Bründersen. Der Wolfhager Rentmeister bestand auf dem Zehntpfennig von der „hiernächstigen (= zu erwartenden) Erbportion“. Ein Gesuch des Ehemannes auf Erlass der Forderung zog sich über Jahre hin. Im Jahre 1739 schaltete sich das „Königlich-fürstliche Consistorium in Cassel“ ein und beantragte, „ob nicht etwa – um die in Chur-Mayntzischen Territorio gelegenen Reformirte Gemeinde Altenstädt bey ihrer bis daherigen puritaet (=rein, Reinheit) der religion fernerhin zu erhalten und die dasigen Einwohner von der Verehelichung mit anderen Römischen Catholischen Weibspersonen im Chur-Mayntzischen so viel möglich abzuhalten – dem dasigen Einwohner Hohannes Greben, so sich mit einer Weibsperson aus Bründersen Amts Wolfhagen Verheyrathet hat“ (Eheschließung 13.5.1735) das Abzugsgeld erlassen werden könne. Auch die Bitte der Kirchenbehörde hatte keinen Erfolg. Inzwischen war Johannes Grebe gestorben (31.5.1740 beerdigt). Seine Witwe heiratete am 15.6.1741 Johannes Schlutz. Das hinderte den Rentmeister Bröske zu Wolfhagen nicht, wiederum das Abzugsgeld zu fordern. Nun versuchte der Pfarrer Raßmann, den Verzicht auf den Zehntpfennig zu erreichen. Der Rentmeister bestand aif einen „Erlaß-Rescript“ seitens der Regierung. Das Consistorium wandte sich erneut nach Kassel und diesmal an „Ihro Königl. Majestät“. Am 25.8.1744 wird die Forderung erlassen.
Johann Martin Döring verheiratete sich am 23.1.1753 mit Catharina Elisabeth Figge aus Elgershausen. Auch sie werden zur Zahlung des Zehntpfennigs angehalten, Am 2.5.1755 wird er ihnen erlassen. Die Regierung in Kassel stützt sich dabei auf den am 27.5.1589 im Marburg geschlossenen Vetrag, wonach Abzugsgeld „erhoben werden kann“ (?), aber weil Altenstädt evangelisch ist und kirchenrechtlich Hessen untersteht, außerdem die Antragsteller verischern, evangelisch zu bleiben, wird auf das Abzugsgeld verzichtet, „damit die Katholischen in Altenstädt nicht überhand nehmen“!
Dem Ehepaar Arend Ernst, dessen Frau aus Wolfhagen stammt, wird der Zehntpfennig am 21.6.1762 erlassen, „Aldieweilen aber jedoch Hessen zu Altenstät die jura ecclesiation exerciret“.
Dem Johann Henrich Krede wird am 29.6.1764 das Abzugsgeld erlassen, weil Altenstädt vom Pfarrer in Balhorn „curirt“ wird.
Den einen wird der Zehntpfennig nachgelassen, anderen nicht. Sie müssen zahlen. Die größten Schwierigkeiten mit Hessen hatte der aus Wehren bei Gudensberg stammende Jacob Pfennig. Er hatte sich am 9.10.1791 mit Anna Margareta Wertz hier in Altenstädt verheiratet. Er richtet am 19.2.1792 an den „Durchlauchtigsten Landgraf, gnädigsten Landes Fürst und Herr“ das hier im Wortlaut wiedergegebene Gesuch:
“Ich bin bürtig aus Wehren Amts Gudensberg; seit 14 Jaren steh ich aber als Gendarme bei des Major v. Wolfs Compagnien hochlöbl. Regiments Gensd Armen, und nach Pfingsten des abgewichenen Jares hab ich mich, weil in hiesiger Gegend keine schickliche Heurath machen konnte, nacher Altenstädt ins Mainzische so verheurathet, dass ich, wenn Urlaub habe, mit der Fourage, die ich daslebsten järlich einernte, mein Pferd überflüssig füttern kann, Wenn nun aber ich, weil mich außerhalb Landes verheurathet, von der mir aus Elterlichen Gütern ertragenden Erbportion, so in ongefehr 200 besteht, 20rthlr Abzugsgelder in die Rentherei Gudensberg in Kürze sub poena executionis (=bei Strafe der Vollstreckung, Pfändung) entrichten soll; Hingegen aber, da ich noch Jung und Ansehnlich bin, nicht wißen kann, wie lange ich in Militair-Diensten noch verbleiben muß, eben sowenig auch bei mir noch nicht beschloßen ist, ob ich meine Lebensjare außer meiner Vatterland zubringen und durchleben werde.
Also nehme ich zu Euer HochFürstlichen Durchlaucht gepriesenen Huld und Landes Vätterlichsten Gnade meine Zuflucht mit untertänigster Bitte:
Hochdieselben wollen mir aus Vorangeführten Umständen und als einen Soldaten, das Vorne erwehnte Abzugsgeld p .rescriptum (=schriftlicher Bescheid) zu schenken und zu erlassen Huldreichst geruhen.
Worüber pp. Euer HochFürstl. Durchlaucht pp. untertänigster Knecht der Gensd. Arme Jacob Pfennig von Altenstädt im Mainzischen“.
Das Gesuch blieb anscheinend unbeantwortet, und so erneuerte er am 5.4.1792 seinen Antrag:
“Nach erhaltenen Consens vom Hochlöbl.en Regiment, habe ich mich im Herbst des letztabgewichenen Jahres mit des Einwohners Johannes Würtz ehelichen Tochter in dem Maynzischen Dorf Altenstädt Verheurathet, und mein Schwieger Vater will mir so bald ich vom Militaire Entlassen bin, die Güter so in 2 ½ Hufe und 7 1/3 Acker Erbland bestehn, und worauf 3 stück Zug-Vieh gehalten werden, Gerichtlich cediren, worüber ich das Attestat vom Amt zu Naumburg beylege.
Bey Euer Hochfürstl. Durchlaucht habe ich Vor einiger Zeit um gnädigste Erlaßung der mir von meinem in 200 Rthlr. Bestehenden Vermögen, abgeforderten Abzugs-Gelder a 20 Rhtlr. Unterthänigst gebethen, darauf aber noch keine Gnädigste Resolution erhalten. Es ist mir aber unbekanndt geweßen, dass ich zu meinem Etablißement in Altenstädt anforderst die Gnädigste Erlaubnüß auswürcken müße. Da ich nun durch diese Heurath mein zeitliches Glück mache und ein ziemlich beträchtliches Acker-Guth überkommen; So habe Eure Hochfürstl. Durchlaucht um die gnädigste Erlaubnüß zu meiner Häußlichen Niederlassung in Altenstädt, welcher Ort kaum 1 Stunde von der Garnision Wolfhagen entlegen ist, und sodann wegen meiner geleisteten Kriegs-Dienste um gnädigste Erlaßung der obbemelten 20 Rhtlr. Abzugs-Gelder, auf deren Bezahlung Von der Rentherey zu Gudensberg dermahlen angedrungen wird, hierdurch unterthänigst Bitten wollen. Hierüber pp.
Euer Hochfürstl. Durchlaucht
untherthänigster dem bey des Major von Wolfes Escadron stehenden Gens d’Armes Jacob Pfennig bürtig aus Wehren Amts Gudensberg“.
Der Bittschrift war die Bescheinigung des Amtes Naumburg beigefügt, wonach Jacob Pfennig nach seiner Befreiung vom Kriegsdienst in Altenstädt als Untertan aufgenommen und von seinem Schiegervater Joh. Würtz das Hofgut erhalten würde.
Nach den Akten hat die Regierung Kassel nach dem ersten Gesuch vom Februar den Landrat von Meysenburg um eine Stellungnahme gebeten. Sie fehlt in den Unterlagen, war aber eindeutig: Die Abzugsfreiheit mit Chur-Mainz sei wieder aufgehoben. Darum dürfte dem Gesuch des Supplicanten (=Bittsteller) nicht stattgegeben werden.
Außerdem stehe er in hessischen Kriegsdiensten. Eine häusliche Niederlassung im Chur-Mainzischen könnte allenfalls Kaution gestattet werden.
Laut dem Schreiben von Weißenstein (=Wilhelmshöhe) vom 5.5.1792 wird verfügt: „Das Überziehen wird ganz verboten“. Jacob Pfennig darf sich in Altenstädt nicht häuslich niederlassen, obwohl er dort verheiratet ist.
Er lässt nicht locker und wiederholt zum dritten und vierten Male sein Gesuch im Dezember 1792 und März 1793. Die Antwort lautet jedes mal kurz und bündig: „Abgeschlagen“. Punktum. Man konnte unmöglich einen in hessischen „Kriegs“-Diensten stehenden Soldaten in das feindliche Ausland überwechseln lassen.
Und allen Verboten zum Trotz ließ er sich in Altenstädt häuslich nieder. Am 15.12.1793 wird ihm hier die erste Tochter geboren.

Quelle: 1150 Jahre Alahstat - Aldenstede - Altenstädt 831-1981 von Georg Feige (1981)

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