Altenstädt -
Unser Dorf
  

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Abschlussrede

Abschlussrede 1150 Jahre Altenstädt von Georg Feige - 25.10.1982
(Gedenksteinenthüllung)
siehe auch Georg Feige und Fotogalerie vorne

Sehr geehrte Festversammlung, meine Damen und Herren,

Ihr Dauerredner vom Dienst hat wieder das Wort, zwar unfreiwillig, aber wohl zur “ersten Hilfe” aus menschliche Gründen verpflichtet. Ich bin nicht die geborene Rampenlichtfigur, wie Sie vielleicht annehmen, allerdings aber auch keine Untergrunderscheinung. Wenn ich hierher zum Rednerpult gewissermaßen geschubst worden bin, dann bestimmt nach dem Wort: “Arbeit ist das halbe Leben - und die andere Hälfte auch!”. Der Festausschuss war in Bezug auf meine Person für die zweite Hälfte das Ganze. Der soll das dann aber auch vertreten, wenn die Gewerkschaft ÖTV einmal hinter diese Schwarzarbeit kommt, der ich in ihrem Tarifauge ein Dorn sein muss, weil sie für die 35-Stundenwoche ist - ich aber nicht sein kann - und ich als Außenseiter der Rentnergeneration Jüngeren den gesuchten und begehrten Arbeitsplatz wegnehme. Aber in dieser Preislage wollte ich das ja eigentlich nicht gesagt haben. Kommen wir doch endlich zum Thema: Zur 1200-Jahrfeier müssen Sie sich einen anderen Redner suchen.
Erwarten Sie, bitte, von mir heute keinen Vortrag über die historische Vergangenheit unseres Dorfes. Der Grund unsere Festlichkeit ist ja ein anderer: Wir wollen einen Schlusspunkt und Schlussstein setzen. Ein bisschen spät für 1181, doch noch nicht zu spät. Man bedenke, dass die Uhren in Altenstädt nicht vorgehen, sie gehen nach! Wenn einmal die Welt untergeht, kommen die Altenstädter auch erst viel später dran. So eilig braucht man es nicht zu haben.
Ich will gerne etwas historisches einflechten - aber ganz kurz: Ich habe mit gut fundierter Begründung die Behauptung aufgestellt, die Weidelsburg sei von den Altenstädtern aufgebaut worden. Heute bin ich auch der weiteren Meinung, die von den Grafen Werner eingesetzten Verwaltungsbeamten auf der Burg, die sich zunächst v. Alstadt oder v. Aldinstede - also nach dem Ort Altenstädt - nannten, den Namen wechselten, als für den Burgberg der Name Weidelsberg - nach 1225 - aufkam. Jetzt nannten sie sich v. Weidelsberg, das klang lautlich wohl besser als “Aldinstede”. Es gibt keinen Grund der meiner Annahme entgegensteht.
Etwas anderes: In der Rentmeisterrechnung vom Jahre 1626 heißt es für Altenstädt wörtlich:
“ Laut innahm Dienstgeld aus Altenstädten haben die Underthanen daselbsten 133 fl. 13 albs. zu ihrem anteil liefern sollen, weil aber das dorff sambt der Kirchen bis uf 6 Haus in vergangenenm Majo, von Hertzog Christian zu Braunschweig Kriegsvolk ganz in Aschen erlegt, die unterthanen auch ... in andere ortschaften gezogen, hat dis Jahr laut designation num 13 mehr nit als 49 fl. 13 albs. erhoben werden können.”
Ganze 6 Häuser hatte also Altenstädt im Jahre 1626 noch. 1654 waren es wieder 31 - Holzhäuser natürlich.
Im Jahre 1654, also nach der Beendigung des 30jährigen Krieges, wurde die Kirche wieder aufgebaut. Sie ist somit das älteste Gebäude in Altenstädt. Seit mehr als 300 Jahren ragt die Kirche über die Häuser des Dorfes. Wenn diese Steine reden könnten! Sie erlebten Not und Elend, Freude und Jubel der Menschen, sie hörten Kriegsgeschrei und Kanonendonner, sie sahen Feuersbrünste und Missernten.
In Altenstädt gibt es eine auffallende Merkwürdigkeit: Das Wirtshaus steht nicht gleich neben der Kirche, wie in Balhorn, Naumburg, Elben, Altendorf und Heimarshausen, wo doch Gottes- und Wirtshaus ziemlich gleichberechtigt sind für die Versorgung mit den zwei Heilsorten, der seelischen Labung und der leiblichen Erquickung. Das Gebet und der Schweinebraten dürfen sich ruhig die Balance halten.
Sagt denn nicht der Psalm 107, die Seele sei durstig und hungrig? In Altenstädt hat die Seele in früheren Tagen schon bessere Zeiten gesehen; heute leidet die Not. Heute ist “Dorfgeist” weit. Wozu ist die Straße da: zum Marschieren.....
Und noch eine Altenstädter Merkwürdigkeit: Die Straßen, Gässchen und Wege sind hier - fast ohne Ausnahme - mehr oder weniger gekrümmt. gebogen, verzogen, was nicht  damit zusammenhängen kann, dass ganz Altenstädt schief liegt - in der Geographie, im Gelände, wo denn sonst, und nicht, was Sie vielleicht annehmen. Noch immer geht die Sonne im Osten auf und - wenn er es für richtig hält, steht er Mond nach alter Vorschrift auch weiterhin über der Hardt. Die Altenstädter haben - seitdem sie den Rütli-Schwur für sich verpasst haben - die Neigung, ihre eigenen Wege zu gehen und das sind dann die gegebenen krummen Wege. Das ist das Sonderbare: Alle gehen hier krumme Wege und keiner gerät auf die schiefe Bahn. Und sie meinen alle, dennoch den richtigen Weg zu gehen, auf dem rechten Weg zu sein, sogar diejenigen, die sich auf ihm links halten, um nicht überholt zu werden. Das ist der Lauf der Welt.
Noch ein Letztes: Der Vizebürgermeister Gerhold (ohne Vornamen) und das Gemeindemitglied Ritter (auch ohne Vornamen) stellen am 9. April 1840 ein Zeugnis aus:
“Johann Melchior Gabriel von hier hat sich stets untadelhaft betragen, niemals eine Strafe erlitten oder wegen angeschuldigter Übeltaten vor Gericht gestanden, und immer einen nüchternen und sparsamen Lebenswandel geführt.”
Hatte ich nicht gerade eben gesagt, die Altenstädter seien von Haus aus brave Leute? (Ich habe in meinem ganzen Leben nie so ein Zeugnis erhalten). Der Mann hieß also Gabriel. Tugendhaft, züchtig in Worten und Werken, makellos und engelrein, wohl der Erzengel Gabriel höchst persönlich und dann auch noch in Altenstädt und nicht etwa in Naumburg. Man höre und staune: Der Gottesstreiter Gabriel - der Hüter des Paradieses und Chef der himmlischen Strafkompanie - lässt sich von den Altenstädtern ein Zeugnis über gute Führung ausstellen. Es ist unfassbar und nicht zu glauben. Wenn das nicht für Altenstädt spricht, was denn dann sonst? Warum also in die Ferne schweifen, wenn die Engel sind so nah? In Altenstädt haben sie die ganz und gar stubenreinen Familiennamen Ritter Schlutz, Gerhold, Löber, Döring, Derx, Nelle, Wicke und viele, viele andere mit ihnen über zahlreiche Winkel und Ecken Versippte und Verschwägerte. Ich kann hier nicht das gesamte Einwohnerverzeichnis all dieser Engel herunterlesen, aber sie haben alle einen fortgesetzten Lebenswandel. Ihre Namen sind gewissermaßen Markenzeichen, Gütezeichen für Altenstädt und gegen unlauteren Wettbewerb gefeilt. Bescheiden wir uns und bleiben wir bei kleiner Münze: Viele Pfennige ergeben auch eine Sippe, und wer die Pfennige nicht ehrt, ist der Sippe nicht wert. Alles Handelsklasse A, hin und wieder einmal mit mikroskopisch-kleinen Webfehlern. Der Dummer denkt, das müsste so sein, und der Gescheite guckt gar nicht erst hin.
Von was sollte hier eigentlich gesprochen werden und was sollte das grundsätzliche Thema sein? Hierzu eine Frage: Ist der Heimatgedanke noch eine aktuelle Realität, wenn die Vergangenheit sich unserer, ach, so stolzen Fortschrittlichkeit schäbig genug ausnimmt, wenn jedes Dorf heute ein Tor zur Welt ist, denken wir an Kraftfahrzeug, Flugzeug und Funk, an Atom und Computerelektronik?
Nun, unserer Feier beweist, dass der Heimatgedanke seine reale, eine wesenhafte Kraft ist, und wir dürfen daraus vertrauen, dass sie auch in Zukunft stärker als alles andere sein und bleiben wird. Es gibt hierfür in Altenstädt viele Hinweise und Beweise, wenn manchmal auch nur durch Kleinigkeiten und Unauffälligkeiten
Es mag sich unendlich viel geändert haben und auch das Nichtzueinandergehörige ins Dorf gekommen sein, doch das dörfliche Gleichgewicht ist längst noch nicht verloren gegangen. Noch immer gehört die größere Zahl der Einwohner durch Geburt und Verwandtschaft und Liebe zu Haus zu Hof hierher. Sie sind nach wir vor die Grundsubstanz, das Kapital des Dorfes auf der Habenseite. Das Dorf liegt also auch weiterhin auf dem ihm vor 2000 Jahren zugewiesenen Breitengrad, und es ist ein Dorf geblieben mit seiner Mischung von Gleichmut und Beharrungskraft, der Weisheit eingedenk, dass gut Ding Weile haben muss. Der Einheimische sagt - auch wenn er keine 300m vom Dorfplatz entfernt wohnt - “ich gehe ins Dorf”, womit wohl etwas Vertrautes, Verbindendes gemeint ist und ein bisschen, ein kleines Portiönchen Heimatliebe mitschwingt. Es würde keinem Altenstädter einfallen, zu sagen, er geht in den Stadtteil. Nicht einmal unseren Berlinern würde ein solcher Quatsch einfallen. Altenstädt kann nur für Naumburg “Stadtteil” sein, für die “Kernstadt”. Apropos Kern: Es ist Naturgesetz: Kein Kern ohne Schale. Der Kern ist das Verwertbare, das Wertvolle, das Hoch geschätzte. Was macht man aber mit der Schale, der Pelle? War sie oder ist sie Schutz des Kernes, damit der Stadtkern geschützt bleibt. Für was ist sie nütze? Kerne sind Samen. Ob Altenstädt davon auch mal etwas abfällt, der Kern für das Dorf auch Früchte trägt oder ist er nur für den eigenen Hausgebrauch? Aber zurück zum Stadtteil, wozu man sagen kann: Naumburg hat mit Altenstädt den besseren Teil erwählt - den bescheidenen Teil - halber. Soll ich noch ein bisschen ironisieren? Besser und lieber wohl nicht.

Für Altenstädt ist und bleibt die Eigenbezeichnung “Dorf” der Ehrenname. Hier bleibt man mit den Füßen auf der Erde, der Heimaterde. Es ist auch gar nicht vorstellbar, dass hier etwas Exzentrisches vorkommen könnte. Die Altenstädter sind eben nicht zu allen fähig, wohl zu weniger, aber darin sind sie dann ganz groß. Trotz des großen Einflusses von außen zeigt Altenstädt nach wie vor ein in sich gekehrtes Profil, und es kommt hier wenig Farbe in das Grau ihres Alltages. Das Dorf schminkt sich nicht, und nach außen ist es distanziert und reserviert; hier ist es immer ein bisschen kühl, und wenn die Sonne noch so heiß vom Himmel brennt, in Altenstädt zeigt sich dennoch nur strichweise blauer Himmel. Dabei haben die Leute hier überhaupt kein Fischblut. Das Dorf lässt selten ein auffallendes Lächeln sehen, als ob es hier nichts zu lachen gäbe. Als einst der Humor verteilt wurde, war den Altenstädtern das Sachliche wichtiger als das Menschliche. Humor? Was war das, was sollten sie damit? So machten sie zum Empfang ihres vorgesehenen Anteils Humor erst einmal einen Umweg: Eile sei des Teufels Bote. Was ist ihnen geblieben: Humor unter mildernden Umständen. Ich kann es mir nicht denken - und ich habe es auch noch nicht erlebt -, dass sich ein Altenstädter über sich selbst lustig machen kann. Vielleicht ist hier der ortsübliche Humor eine Art schwarze Kunst, eine Geheimwissenschaft für den Außenstehenden, den Nichteinbezogenen. Nach der bisher gemachten Erfahrung muss ich annehmen, dass, wenn hier Fastnacht gefeiert würde, wie anderwärts, es hier so wäre, als ob falscher Feueralarm gegeben worden sei. Dem Altenstädter scheint die Freude am Dasein immer etwas Kummer zu machen. Zwischen Freude und Freude braucht er Zwischenräume, und es liegt ihm darum auch nicht  - anscheinend - die 5. Jahreszeit - die Zeit der Freude - auf die übrigen vier Jahreszeiten gleichmäßig zu verteilen.
Dennoch: Auch in Altenstädt - und hier kein bisschen weniger als woanders - hat der Mensch das Bedürfnis nach Geselligkeit, den Trieb zum Kollektiv, auch wenn er seine vier Wände wie ein Heiligtum hütet: Mein Heim, meine Burg. Viele positive Elemente stecken in dem Bestreben zu gesellschaftlichem Umgang: Zusammengehörigkeitssinn, Lebensbereicherung, Daseinsfreude, Nächstenliebe, Mitteilsamkeit, Abschalten vom Alltag, Stätte der Begegnung und vieles andere mehr. Also feiert auch der Altenstädter gerne. Wann aber?! Zu Heiraten gehören zwei, zum Skat drei, zum Quartett vier, zu mehr und zum Feiern der Verein. Altenstädt wäre nicht Altenstädt, wenn es seine Vereine nicht hätte. Was wäre das Dorf ohne  sie?
Sie sind die stärksten Vertreter des Gemeinschaftsgedankens und ihrer Heimat. Was örtlich in den Vereinen geschieht und wo sich der einzelne nach eigenem Wollen in seinem Element fühlt, wird bestimmt von heimatlicher Verbundenheit, örtlicher Geselligkeit, enger Freundschaft untereinander, die Nähe Gleichgesinnter und geübter Gefährtenschaft. Wir bedauern zwar, dass in unserer schnelllebigem, modernen Zeit viel Brauchtum unwiederbringlich verloren gegangen ist, aber die Vereine sind - entsprechend der Zeit - an ihre Stelle getreten, wenn sich auch Art des Brauchtums und die Formen gewandelt haben. Es ist doch die ureigene Freude an der Selbstdarstellung und der Selbstbestätigung auf einem Gebiet, für das man eine besondere Vorliebe hat und die sich in den eigenen vier Wänden nicht ausführen lässt, die Mitwirkung Gleichgesinnter braucht und sich vom gewöhnlichen Alltag wohltuend abhebt. Dieser Zusammenschluss in einem Verein ist meines Erachtens eine natürliche und gesunde Reaktion, ich möchte sagen, eine Art Abwehrreaktion gegen all das seelenlose Gehabe und Getue, das Seichte und Billigste vom Billigen, mit dem wir überall, auf Schritt und Tritt, tagaus, tagein konfrontiert werden.
So gesehen, dürfte es - auch in Altenstädt - noch weitere Vereine geben, um noch anderen individualistischen Richtungen entgegenzukommen. Noch wichtiger aber wäre wohl zunächst, dass die Zahle der Aktiven in den bestehenden Vereinen gestärkt würde und die Vereine größere Unterstützung fänden. Man sollte nicht übersehen, dass den Ortsvereinen eine ganz besondere Rolle und Bedeutung zur Pflege der Heimatliebe, der Erhaltung des kulturellen Erbes und der Tradition im Dorf zukommt. Was von außen und oben hierfür getan wird, ist oftmals graue Theorie oder herzlich wenig. Tatsächliche Leistungen werden nahezu ausschließlich von den Vereinen praktiziert. Darum sind sie für das Heimatdorf so wichtig und notwendig. Die Hagestolze, Eigenbrötler, Außenseiter und Stubenhocker sollten die Tätigkeit der Vereine nicht wie ein Fußballspiel ansehen, zu dem sie nicht einmal Eintritt bezahlen, und denken: “Nun rackert mal schön!” Die Vereine sind ein Segen für die Heimat und die berufenen Gegenspieler des Unsinns.
In diesem Zusammenhang kann ich es mir nicht verkneifen auch auf Auswirkungen der so genannten Infrastruktur hinzuweisen, die für ein Dorf nachteilig, ja ausgesprochen schädlich sind. Wissen Sie, was Infrastruktur ist? Es ist der Unterbau einer größeren und großen Organisation, wozu vielerlei Einrichtungen gehören können.
Infrastruktur - logischerweise ein ganz neudeutscher Ausdruck - ist für alle, die sie handhaben und von ihr leben, ein Lieblingswort, das sie am liebsten streichen möchten. Infrastruktur beginnt bei der Postleitzahl, im kommunalen Bereich beim Stadtkern, dem Kultur- und Sportzentrum, dem Kindergarten, der Wasserversorgung, der Müllabfuhr, usw. usw. Infrastruktur heißt auf gut Deutsch - überzogen und sehr unfein ausgedrückt: Entzug der Selbständigkeit und Selbstverwaltung der Dörfer und was damit zusammenhängt. Die Infrastruktur-Lobredner setzen dagegen, sie sei das Gegenteil  dörflicher Kirchturmspolitik und sonstigem Unvermögen. Ich glaube nur nicht, dass unser Bürgermeister in das selbe Horn bläst, denn diese Wegnahme - gleich einer Enteignung - ist regierungsseitig erfolgt. Ich kann mir aber sehr gut denken, dass sich der eine oder andere Bürgermeister auf den Aussichtsturm der Weidelsburg stellt, sein “Revier” von oben betrachtet und mit Besitzerstolz für andere unhörbar bekennt: “Das ist alles unser.”

Aber “unser” ist leider nicht mehr die Schule! Selbst der Stadtverwaltung ist sie entzogen. Sie war einst wirklicher kultureller Mittelpunkt des Dorfes. Heute ist sie außerhalb, weit weg an anderem Ort. Heute muss man die Kinder kilometerweit transportieren. Sie erleben die Schulzeit an einem fremden Ort in für sie fremder Umgebung. Es gibt keine dörfliche Klassengemeinschaft mehr. Wer hier in Altenstädt in die Schule gegangen ist, hat zur Teichstraße 12 andere, vertrautere Beziehungen, als die Kinder zu ihrer heutigen fernstehenden, ortsfremden Schule. Wie sollen sich da Heimatgefühle, das Bewusstsein einer gemeindlichen  Zusammengehörigkeit einstellen und bilden? Man weiß ja, welche Zeiträume und welcher Erlebnisse es bedarf, um solche Bedingungen aneinander und untereinander zu entwickeln. Einstmals wurde das Kind im Elternhaus mit der Heimat vertraut gemacht, und in der Schule setzte sich das Kennenlernen und Wissen um die Heimat in der “Heimatkunde” fort. Dem “Fortschritt” fiel auch die Heimatkunde zum Opfer und wurde durch “Sachkunde” ersetzt. Wen wundert es, wenn wir heute bei sehr vielen Jugendlichen keine Antenne mehr für ihre Heimat finden? Liegt die Ursache bei der Jugend oder anderswo? Wie gerne hätten wir diese Abschlussfeier in größerem Ausmaß und anderem Stil mit der Schuljugend und den oberen Klassen gestaltet, wenn uns die Möglichkeiten dazu nicht entzogen gewesen wäre. Sehen Sie: Auch das ist der Effekt, die Frucht der viel gepriesenen und hochgejubelten Infrastruktur.
Ich rufe die Jugend von Altenstädt auf, sich nicht auf diese “Sachkunde” beschränken zu lassen, sondern selbst aktiv zu werden. Bedenkt, dass Eure eigene Lebensgeschichte mit der Ortsgeschichte eng verbunden und nicht von ihr zu trennen ist. Wenn Ihr das Geschichtsbuch Eures Heimatortes aufschlagt, werdet ihr feststellen, dass Ihr hier noch ein breites Betätigungsfeld vorfindet. Der Lebensort kann Euch auch ein Lernort sein. Das Wissen um Herkunft aus Familie und Heimat fördert die Bereitschaft zur Arbeit an der Zukunft, die Euch gehört, die Ihr Euch zu gestalten habt. Ihr macht die Geschichte von morgen. Wir wünschen Euch dazu eine glückliche Hand. Bedenkt: Menschen sterben, Geschlechter vergehen, Euer Dorf aber bleibt.
Unter solidarischem Miteinander haben die Vereine und ihre Mitglieder die 1150-Jahrfeier zur ersten urkundlichen Erwähnung des Dorfes mit ihren vielseitigen Veranstaltungen im vergangenen Jahr ermöglicht und mit beispiellosem Erfolg durchgeführt. Das ganze Dorf hatte seine helle Freude daran, weil alle Erwartungen noch übertroffen wurden, so dass es den Vereinen mit vollem Recht viel Lob und Anerkennung eingebracht hat. Wie arm, wir blutleer wäre Altenstädt ohne seine Vereine. Auch diese Abschlussfeier wird wiederum von ihnen unter hohem Einsatz getragen. Ich sage es mit Freuden: Es ist erstaunlich, wie viele Helfer sich zu gemeinsamen Tun begeistern und viele von ihnen sich ihrerseits bemühen, der Veranstaltung Inhalt und Gesicht zu geben. Sie werden es nicht glauben wollen: Jeder 10. des Dorfes betätigt sich hierbei aktiv! In diesem Zusammenhang ist mir noch etwas Nettes und Hübsches zur angeblichen Erfinderin der Weibertreue, der Agnes von Dalwigk, eingefallen. Die Agnes hat von der Emma abgeschrieben, abgeklatschen können, weil diese sich ihre Erfindung nicht rechtzeitig hat patentieren lassen. Hören Sie, was Wilhelm Busch sagt:
  “Was sieht er da - vor Schreck erstarrt?
    Die Emma trägt den Eginhart.”

Karls des Großen Tochter Emma trug auf ihren starken Schultern ihren Geliebte, den Eginhart oder Einhart (Karls berühmten Biographen), spät in der Nacht oder gegen Morgen aus ihrer Kemenate durch den Schnee, damit der Herr Papa hinter kommen sollte, wie und wo gefensterlt würde. Karl kam doch dahinter. Das Verhältnis hatte keine Folgen.
Wir haben zur 1150-Jahrfeier der längst vergangenen Zeiten und der vielen längst zu Staub gewordenen Millionen Vorfahren gedacht, ja Millionen; ich habe mich nicht versprochen: Jeder einzelne von uns hat wirklich Millionen Menschen zu seinen Vorfahren, jeder. Wir haben uns erinnert, wie schwer es die vielen Generationen vor uns hatten, was sie erstrebt, erdacht und geschafft haben, auf dass es letztlich uns zu Gute komme.
Daran wollen wir auch heute denken und uns immer wieder erinnern. Wenn wir heute die 1150-Jahrfeier abschließen, so wiederum als Dorf- und Heimatfest, das die Verbundenheit von Mensch zu Mensch über alle Unvollkommenheiten hinweg festigen, das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und die Eintracht untereinander erhärten soll, getragen von Gemeinsamkeit, Partnerschaft und Zusammenarbeit aller, auch des letzten Altenstädters, um dem liebenswerten Dorf eine freundliche Zukunft zu ermöglichen. Diese Dorf- und Heimatfest gilt ganz besonders der Jugend und den Generationen, die die Geschichte des Dorfes weiterführen, das Gegebene übernehmen und das Ererbte in Ehren halten und sich in 50 Jahren an das Heute gerne erinnern möchten.

Vielleicht sagen sie dann als Väter und Mütter oder Großväter und Großmütter: “Ja, ja, das waren noch schöne Zeiten, ja, ja!”

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