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Die Zeit nach dem II. Weltkrieg
VI. Altenstädt in der Zeit vor und nach dem Kriegsende 1945 - Erlebnisberichte Einheimischer (Von Georg Feige, Sonderband Arbeitskreis Heimatgeschichte Naumburg 2/1985)
Zu Anfang des Jahres 1945 überstürzten sich die militärischen Ereignisse. Zwar verbreitete die oberste Heeresleitung in ihren täglichen Wehrmachtsberichten noch Optimismus, als ob eine Umkehr der eingetretenen und gegebenen militärischen Situationen noch möglich und bereits im Gange sei, doch die illusionäre Wunderwaffe blieb aus. Mit dem Vordringen der Alliierten über de Rhein, dem Zurückweichen und Zurückfluten der deutschen Heeresmassen war auch der zivilen hessischem Bevölkerung klar geworden, was auf sie zukam und was zu erwarten war. Es waren gespannte und besorgte Wochen: Wie würde sich die Kriegsfurie auswirken, wenn Land und Dorf von ihr erfasst werden sollten? Es sah wohl schon nicht mehr so aus, als ob Dorf für Dorf umkämpft werden würde, aber wir könnten sich die feindliche Soldaten gegenüber der Bevölkerung verhalten? Beklommene, furchtsame und bängliche Fragen über Fragen. „Hört ihr, wie der Donner grollt?“ In Altenstädt rechnete man damit, dass die Lebensmittelversorgung möglicherweise auf unbestimmte Zeit nicht gewährleistet werden könnte, und so wurden Unmengen Brot auf Vorrat gebacken und in „Sicherheit“ gebracht. Man hatte – trotz der Zwangsbewirtschaftung der Lebensmittel – doch noch so manche „ahle Worscht“, Speck und Geräuchertes, das alles nicht in „Feindes Hände“ fallen durfte. So wurde alles Essbare unter, über und in Strohballen und anderen geeigneten Verstecken jeglicher Neugier entzogen. Wertsachen wurden – gegen Feuchtigkeit gut gesichert – in Kästen und Kisten vergraben und darüber ein Zustand hergestellt, als ob es sich hier um eine ungenutzte, verwilderte Fläche handele. Rundfunkgeräte – Volksempfänger – verschwanden auf die gleiche Art. Man konnte nie wissen… In Erwartung des Feindes (bei nicht wenigen sicherlich als Befreier empfunden, Bernd Ritter) aus der Richtung Korbach und in der Hoffnung, ihn noch aufhalten zu können, kam von „höherer Warte“ (dem Ortsgruppenleiter Eysel ?) der Befehl, auf der Straße Monschein Panzersperren zu errichten. Sollte hier ein Kampfgebiet werden? Das kümmerliche Bemühen war natürlich „für die Katz“. Der Gegner hatte sich’s anders überlegt: Er kam aus einer ganz anderen Richtung. Am Ostersamstag – das war der 31. März 1945 – hörte man in Altenstädt ein rumpelndes, rasselndes Geräusch, das laut vernehmlich aus der Richtung Naumburg kam und kein Ende nehmen wollte. Das Dröhnen und Getöse behielt seinen Gleichklang und kam nicht auf Altenstädt zu. Vorwitzige Kundschafter – waghalsige, von der Neugier geplagt Jungen – hatten von den höher gelegenen Feldern aus das Anrücken und Kommen langer Panzerkolonnen der Amerikaner gesehen. Sie kamen von Netze und rollten von Naumburg über Ippinghausen nach Wolfhagen. Und keine Panzerformation scherte zu einem Abstecher oder „Seitensprung“ nach Altenstädt aus? Nein. War das Dorf strategisch so uninteressant, dass man es recht liegen lassen konnte? Wollte man den kleinen Trupps aufgelöster deutscher Wehrmachtseinheiten Zeit lassen zur letzten Aufspaltung in der Flucht? Es tat sich nichts. Am Ostersonntag herrschte im Dorf eine unheimliche Ruhe und Spannung. Man konnte und wollte nicht glauben, dass Altenstädt vom weiteren Kriegsgeschehen ausgenommen bleiben würde, aber wann und wie könnte das Unheil eintreffen und sich auswirken?! Diese Ungewissheit. Sie war schon aufregend. Am Ostermontag (2.4.) war es dann doch soweit: Von Bründersen kommen, rollten etwa 8-12 Panzer in Altenstädt ein, dahinter zahlreiche Lastwagen mit vielleicht an die 200 bewaffneten Soldaten und zu deren Deckung mehrer Jeeps mit in Stellung gebrachten und schießbereiten Maschinengewehren. Logisch, dass die Dorfstraßen menschenleer waren und sich niemand sehen ließ. Die Panzer sperrten die Ausfallstraßen und nahmen an den „Brennpunkten“ Aufstellung. Die Lastwagen fuhren vor die Häuser; die Soldaten sprangen ab, und in Trupps wurde Haus für Haus besetzt und vom Dach bis zum Keller durchsucht, während die Hausbewohner sich nur in einen Raum aufhalten mussten. Die Amerianker suchten nach versteckten deutschen Soldaten, Waffen, Rundfunkgeräten und allem, was ihrer Kriegsführung nachteilig sein konnte. Das alles ging überfallmäßig sehr schnell vor sich. Altenstädt war ein friedliches Dorf, und die Amerikaner konnten versichert sein, dass von ihm keine Gefahr ausging und ausgehen konnte. So konnte die zur Kampftruppe der Amerikaner gehörende Formation – Paer, Jeeps und überzählige Lastwagen sehr bald wieder abziehen. Zurück blieb eine Besetzung von schätzungsweise 200 Mann. Ihre Ortskommandantur richtete sie im Gasthaus Ritter – später im Haus Ringk, Kasseler Straße – ihre Küche im Gasthaus Schlutz ein. Die amerikanischen Soldaten wurden in Privatquartieren untergebracht. Dazu suchten sie sich die Häuser und Räume aus, die ihnen am besten zusagten. Die Wohnungsinhaber mussten sehen, wo sie blieben. Gegebenfalls mussten sie ihn zum Wohnen ungeeigneten Nebenräumen oder gar mit Scheune zunächst und ab sofort eine totale Ausgangssperre, die dann gelockert und dann und dann ganz aufgehoben wurde. Um 21.00 Uhr war „Zapfenstreich“. Nach dieser Zeit durfte sich niemand mehr auf der Straße sehen lassen. Die Besatzungstruppe richtete zu ihrer eigenen Sicherheit einen Streifendienst ein. Mehrere Patrouillen kontrollierten Tag und Nacht die Straßen. Von der wirklich kriegsmüden Einwohnerschaft war nicht das Geringste zu befürchten. Sie war schon allein dafür dankbar, dass ihr Leib und Lebe erhalten blieb und von den vorher gehegten Befürchtungen nicht viele übrig bleib. Man war ja heilfroh, dass das Dorf von den eigentlichen Kriegshandlungen, den Kämpfen mit der Waffe, verschont geblieben war. Haus und Hof blieben glücklicher- und dankbarerweise erhalten. Noch war der Krieg nicht aus, aber dass er in seiner ganzen Unmenschlichkeit noch einmal „zurückkomme“, das glaubte niemand mehr. Der seit 1937 amtierende Bürgermeister August Schlutz wurde seines Amtes enthoben. Um von ihm, den Amerikanern erwünschte (auch in politischer Hinsicht) Aussagen zu erhalten und ihn dazu zu zwingen, wurde er von einem amerikanischen Kommando mit der sicherlich nur vorgespielten Absicht seiner Erschießung bis an den Rand des Wolfholzes geführt. Der abgesetzte Bürgermeister blieb jedoch „standhaft“. Er hatte keine Aussagen zu machen. So wagte man auch nicht, die Drohung der Erschießung wahrzumachen und … entließ ihn. Mehr Entgegenkommen fanden die aushorchenden Amerikaner dann doch durch mehrere weniger diskrete oder distanzierte Einheimische, wozu sich wohl eine kritische Stellungnahme erübrigt. Julius Cäsar hat sich zur Genüge darüber geäußert. [nach meiner Info wurde viele Nazis verschont – das heißt zu wenig Stellung genommen; hier muss dem Verfasser in seiner Bewertung widersprochen werden, Bernd Ritter]. Anstelle des seines Amtes entlassenen Bürgermeisters August Schlutz, setzten die Amerikaner Heinrich Oeste ein. Es ließ sich nicht feststellen, weshalb der von den Amerikanern bevorzugte Heinrich Oeste Bürgermeister wurde. Er wurde allerdings auch schon um den 20. August 1945 von Wilhelm Schreckert abgelöst. Auch die Gründe hierfür sind undurchsichtig. Wilhelm Schreckert – von Haus aus ein ruhiger, gutmütiger Mann – wird ein korrektes und gerechtes Verhalten – unparteiisch (obwohl Sozialdemokrat – Anm. Bernd Ritter), fair und redlich – nachgesagt. Abgesehen davon ermittelten die Amerikaner – aus den Bürgermeister-Unterlagen – auf Urlaub befindliche deutsche Soldaten in Altenstädt, die daraufhin unverzüglich aufgegriffen und in die Gefangenschaft (Bad Kreuznach) gebracht wurden. Es waren dies: Wilhelm Ritter, Christian Theis, Georg Peter, Heinrich Gerhold, … Spohr und – sehr wahrscheinlich – dem Berichterstatter nicht genannte weitere Altenstädter. Drei von ihnen waren nach Cherbourg an der Kanalküste in Frankreich transportiert worden. Sie kamen ein Vierteljahr später in die Heimat zurück. Leider kann über den Verbleib der anderen Gefangenen und ihre Rückkehr nichts ausgesagt werden. Selbstvrständlich wurden auch einige Mitglieder de NSDAP eingezogen und interniert. Es fiel den Amerikanern ja nicht schwer, zu den für sie wichtigen Angaben zu kommen. Wo sollte es keinen Ortsgruppenleiter, Lehrer Eysel, wurde der wohl berechtigte Vorwurf gemacht, zu wenig tolerant gewesen zu sein, ganz besonders gegenüber den französischen und polnischen Gefangenen, die den Landwirten zur Arbeit zugeteilt waren. Diese Arbeitshelfer wohnten bei den „Arbeitgebern“. Nach der Vorschrift durften diese ihre Helfer nicht an ihrem Tisch dulden; sie sollten „entfernt“ abgespeist werden. So genau nahmen es aber die Bauern nicht, die ein gutes Verhältnis zu den ihnen zugeteilten Gefangenen hatten. Wo der Ortsgruppenleiter Verstöße gegen das Gebot feststellte, „explodierte“ er förmlich. Sein zu hartes Verhalten gegen die (acht) Polen und (drei) Polinnen musste sich nach der Besetzung Altenstädts durch die Amerikaner in Feindseligkeit den Deutschen gegenüber verkehren. Sie verließen ihre bisherigen Wohnstätten und quartierten sich in der Schule ein, dort, wo auch Eysel gewohnt hatte. Wo sie nicht auf Amerikaner stießen und ihnen kein starker Widerstand entgegengesetzt wurde, holten sie sich aus den Häusern alles, was sie brauchen konnten. Als der Bürgermeister den Einheitsführer eine am Ortsausgang (Wolfhager Straße) zeltenden polnischen Militärverbandes bat, er möge doch seine Landsleute von derartigen Überfällen und Plünderungen abhalten und die wehrlosen Einwohner schützen,soll ihm die Antwort gegeben worden sein, wenn er sich nicht schnellstens entferne, würde ihm mit der Waffe nachgeholfen. Die Schulchronik berichtet jedenfalls, dass die Schule in einem nicht wiederzugebenden Zustand verwüstet wurde. Mehrer Augenzeugen sagten aus, dass es für Altenstädt noch ein Glück gewesen wäre, dass die Amerikaner die Besatzungsmacht gewesen sei. In einem anderen Falle wäre es den Einheimischen schlecht ergangen. [leider auch ein Hinweis dafür, dass die Kriegsgefangenen in Altenstädt offensichtlich nicht gerade gut behandelt wurde, Bernd Ritter] Mit den Amerikanern ließ es sich leben. In der Anfangszeit – bis zum offiziellen Kriegsende – waren sie äußerst streng und unnachsichtig, aber durchaus fair. Dann lockerte sich das gegenseitige Verhältnis im Laufe des Sommers mehr und mehr. Die Küche der amerikanischen Soldaten ging ziemlich großzügig mit den Lebensmitteln um. Was nicht verwertet wurde, das warfen sie in eine Grube nahe der Küche: Verpflegungsreste, Abfälle, Kaffeesatz und vieles Ungenante. Was die Evakuierten glaubten, sich davon doch noch nutzbar machen zu können, das holten sie sich, … und die Amerikaner hatten ihren Spaß daran! Nach Kriegsschluss wurde das anders, menschlicher. Was die Küche übrig hatte, das wurde jetzt nicht mehr weggeworfen, sondern verteilt. Nicht nur Evakuierte, auch die Altenstädter konnten sich Verpflegungsüberstände in geeigneter Behältern abholen, es gab in dieser Beziehung keine „Feindschaft“ mehr. Hier kündigte sich auch schon die spätere Marktwirtschaft an: Die Amerikaner hatten einen großen Bedarf an Eiern, Souvenirs (nach amerikanischen Geschmack) und anderem; die Deutschen hatten Sehnsucht nach Schokolade und Zigaretten. Der Tauschhandel blühte. Allmählich wurde es den jungen amerikanischen Soldaten bei dem eintönigen Dienst (Exerzier- und Sportplatz war an der Ecke der Wolfhager Straße/ Kasseler Straße [zu dieser Zeit Wiese, heute „Auf dem Lindengarten“, Bernd Ritter]; der Schießstand am Altenstädter „Hauptbahnhof“) immer langweiliger. Sie suchten und bemühten sich um Anschluss bei den Einheimischen. Viel Glück scheinen sie aber bei der holden Weiblichkeit nicht gehabt zu haben, sonst müsste darüber etwas zu berichten sein. Altenstädt hatte keine städtischen Verhältnisse zu bieten und „Veronikas“ offensichtlich auch nicht. Die Moral in einem Dorf - zu dieser Zeit - ist doch nicht mit der des „Fortschritts“ von heute zu vergleichen. Zur damaligen Zeit hatten der alteingesessene Dörfler und auch die Dörflerin keine Veranlassung, die ihnen nun einmal angeborene Abneigung gegen alles Fremde jetzt zu ändern und aufzugeben. Schließlich haben die langen Kriegsjahre, viele Jahre der Not nicht das Gedächtnis und die Erinnerung ausschalten können, dass Familienangehörige gefallen waren, in der Gefangenschaft lebten oder noch im kämpferischen Einsatz waren. Die allgemeine Gemütslage, die niedergeschlagene Seelenverfassung, war kein Grund, sich über die gegebene Wirklichkeit auf die billigste Weise hinwegzusetzen, auch wenn der unselige Krieg endlich, endlich sein Ende gefunden hatte. Die unabsehbaren Folgen des Krieges waren ja zu erwarten….
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